Der lang verkannte Friedrich Glauser bezeichnete in einer Rechtfertigungsschrift den Kriminalroman als den «verachteten Bruder» des Romans. Spätestens seit Autoren wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Jorge Luis Borges, Carlo Emilio Gadda, Alain Robbe-Grillet, Michel Butor, Friedrich Dürrenmatt, Leonardo Sciascia u.a. das Missverhältnis von menschlicher Vernunft und undurchdringlicher Wirklichkeit dargestellt und so die Prämissen für eine literaturhistorische und -wissenschaftliche Neubewertung der Gattung gelegt haben, lässt sich der Vorwurf, leicht konsumierbare Massenware zu sein, nicht mehr so leicht halten. Der Versuch, u.a. durch Variation, Verfremdung und Parodie eingefahrene Schemata und dramaturgische Grundmuster zu reaktivieren, um damit dem Wirklichkeitsverständnis des Kriminalromans eine neue Dimension zu geben, hat bedenkenswerte Entwicklungen offen gelegt und die Gattung ins rechte Licht gerückt. Auch sind Krimileser sehr anspruchsvoll geworden und lassen sich – wie die Trägerin des deutschen Krimipreises 2004 Anne Chaplet zu Recht behauptet – «nicht mehr mit simplen Plots und aberwitzigen Auflösungen abspeisen, sondern verlangen Welthaftigkeit und Realismus, plausibile Geschichten, sympathische und alltagstaugliche Figuren und – Gefühl». Gute Krimis sind mehr als nur schematische Konstruktionen, mitreißende Geschichten von der Kehrseite des Guten oder spannender Unterhaltungsstoff eines Autors, der sein erzählerisches Handwerk perfekt beherrscht und den Plot virtuos auf Standardsituationen zu komprimieren versteht. Formale Kunstfertigkeit, sprachliche Finesse, Sinn für Dramaturgie, Detaildichte, präzise Charakterskizzen, glaubwürdig gezeichnete Nebenfiguren etc. verleihen vielen Kriminalromanen Tiefe und Weltläufigkeit. Der vorliegende Band versucht nun, neue Tendenzen des Kriminalromans im deutschsprachigen Raum aufzuspüren und zu erschließen. Neben themenspezifischen Beiträgen (Aspekte kriminalistischen Erzählens in der österreichischen Gegenwartsliteratur, Entwicklungen in der Schweizer Krimiszene, Mauerfall etc.) standen vor allem Analysen zu einzelnen Autoren (Jakob Arjouni, Friedrich Dürrenmatt, Wolf Haas, Edith Kneifel, Alfred Komarek, Felix Mettler, Ingrid Noll, Bernhard Schlink/Walter Popp und Hansjörg Schneider) und deren Werke im Mittelpunkt der Diskussion.

Sandro M. Moraldo (2005). «‹Wir brauchen alles, um Geschichte lebendig zu halten›. Ethos der Distanz und literarische Aneignung der NS-Vergangenheit in Bernhard Schlinks und Walter Popps Selbs Justiz»,. HEIDELBERG : Universitätsverlag Winter.

«‹Wir brauchen alles, um Geschichte lebendig zu halten›. Ethos der Distanz und literarische Aneignung der NS-Vergangenheit in Bernhard Schlinks und Walter Popps Selbs Justiz»,

MORALDO, SANDRO
2005

Abstract

Der lang verkannte Friedrich Glauser bezeichnete in einer Rechtfertigungsschrift den Kriminalroman als den «verachteten Bruder» des Romans. Spätestens seit Autoren wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Jorge Luis Borges, Carlo Emilio Gadda, Alain Robbe-Grillet, Michel Butor, Friedrich Dürrenmatt, Leonardo Sciascia u.a. das Missverhältnis von menschlicher Vernunft und undurchdringlicher Wirklichkeit dargestellt und so die Prämissen für eine literaturhistorische und -wissenschaftliche Neubewertung der Gattung gelegt haben, lässt sich der Vorwurf, leicht konsumierbare Massenware zu sein, nicht mehr so leicht halten. Der Versuch, u.a. durch Variation, Verfremdung und Parodie eingefahrene Schemata und dramaturgische Grundmuster zu reaktivieren, um damit dem Wirklichkeitsverständnis des Kriminalromans eine neue Dimension zu geben, hat bedenkenswerte Entwicklungen offen gelegt und die Gattung ins rechte Licht gerückt. Auch sind Krimileser sehr anspruchsvoll geworden und lassen sich – wie die Trägerin des deutschen Krimipreises 2004 Anne Chaplet zu Recht behauptet – «nicht mehr mit simplen Plots und aberwitzigen Auflösungen abspeisen, sondern verlangen Welthaftigkeit und Realismus, plausibile Geschichten, sympathische und alltagstaugliche Figuren und – Gefühl». Gute Krimis sind mehr als nur schematische Konstruktionen, mitreißende Geschichten von der Kehrseite des Guten oder spannender Unterhaltungsstoff eines Autors, der sein erzählerisches Handwerk perfekt beherrscht und den Plot virtuos auf Standardsituationen zu komprimieren versteht. Formale Kunstfertigkeit, sprachliche Finesse, Sinn für Dramaturgie, Detaildichte, präzise Charakterskizzen, glaubwürdig gezeichnete Nebenfiguren etc. verleihen vielen Kriminalromanen Tiefe und Weltläufigkeit. Der vorliegende Band versucht nun, neue Tendenzen des Kriminalromans im deutschsprachigen Raum aufzuspüren und zu erschließen. Neben themenspezifischen Beiträgen (Aspekte kriminalistischen Erzählens in der österreichischen Gegenwartsliteratur, Entwicklungen in der Schweizer Krimiszene, Mauerfall etc.) standen vor allem Analysen zu einzelnen Autoren (Jakob Arjouni, Friedrich Dürrenmatt, Wolf Haas, Edith Kneifel, Alfred Komarek, Felix Mettler, Ingrid Noll, Bernhard Schlink/Walter Popp und Hansjörg Schneider) und deren Werke im Mittelpunkt der Diskussion.
2005
Mord als kreativer Prozess. Zum Kriminalroman der Gegenwart in Deutschland, Österreich und der Schweiz
65
73
Sandro M. Moraldo (2005). «‹Wir brauchen alles, um Geschichte lebendig zu halten›. Ethos der Distanz und literarische Aneignung der NS-Vergangenheit in Bernhard Schlinks und Walter Popps Selbs Justiz»,. HEIDELBERG : Universitätsverlag Winter.
Sandro M. Moraldo
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