Mehr als jedes andere Motiv thematisiert und problematisiert der Doppelgänger die komplexen psychischen, sozialen und gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen von individueller Identität. Den vielfältigen Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bestimmungsfaktoren versucht diese Arbeit sowohl im Kontext der Literatur als auch im Bereich des Kinos Rechnung zu tragen. Ausgehend von Jean Pauls Instrument der Fichte-Kritik und E.T.A. Hoffmanns ‘chronischem Dualismus’ avanciert der Doppelgänger zur poetischen Ich-Reflexion und Figuration des existentiell Abwesenden, der durch die Erkenntnisse der Psychoanalyse und mittels Fallstudien in der Moderne wieder aufgenommen und schließlich als “technische Herausforderung und Figuration der Meta-Kritik” vom Film entdeckt wird. Ging es Vf. um die Erstellung einer zur Typologie hin tendierenden Phänomenologie der Erscheinungsformen literarischer und kinematographischer Doppelgänger, sowie eine schematische Übersicht der Motivvarianten und ihrer Funktionen, so liefert er sicherlich eine gründlich und genau recherchierte, umfassende und systematische Diskussionsgrundlage. Zweifellos gelingt ihm eine problemorientierte und bemüht sachliche Darstellung der “Adaptationsfähigkeit und Langlebigkeit des Motivs”. Doch bei allem selbstkritischem Problembewußtsein mangelt es seiner Doppelgängerdefinition an einer klaren Begrifflichkeit, was sich leicht daran ablesen lässt, daß auch all jene Varianten und Ausformungen berücksichtigt werden, die “in den erweiterten Bereich der Doppelgängeranalyse” fallen. Mit solch einer weitgefassten Definition, die auch Hermaphroditen, Vampire, Werwölfe, Golems, Statuen etc. als doppelgängerische Spaltungsphantasien deutet, wird das ohnehin schon vielfältige und komplexe Motiv derart überstrapaziert, daß der Leser auf der Suche “nach dem gemeinsamen Subtext hinter den Doppelgängergeschichten” den roten Faden verliert.
Sandro M. Moraldo (2006). Gerald Bär: Das Motiv des Doppelgängers als Spaltungsphantasie in der Literatur und im deutschen Stummfilm, Amsterdam/New York: Rodopi 2005. GERMANISTIK, 47, 1/2 (2006), 151-152.
Gerald Bär: Das Motiv des Doppelgängers als Spaltungsphantasie in der Literatur und im deutschen Stummfilm, Amsterdam/New York: Rodopi 2005
MORALDO, SANDRO
2006
Abstract
Mehr als jedes andere Motiv thematisiert und problematisiert der Doppelgänger die komplexen psychischen, sozialen und gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen von individueller Identität. Den vielfältigen Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bestimmungsfaktoren versucht diese Arbeit sowohl im Kontext der Literatur als auch im Bereich des Kinos Rechnung zu tragen. Ausgehend von Jean Pauls Instrument der Fichte-Kritik und E.T.A. Hoffmanns ‘chronischem Dualismus’ avanciert der Doppelgänger zur poetischen Ich-Reflexion und Figuration des existentiell Abwesenden, der durch die Erkenntnisse der Psychoanalyse und mittels Fallstudien in der Moderne wieder aufgenommen und schließlich als “technische Herausforderung und Figuration der Meta-Kritik” vom Film entdeckt wird. Ging es Vf. um die Erstellung einer zur Typologie hin tendierenden Phänomenologie der Erscheinungsformen literarischer und kinematographischer Doppelgänger, sowie eine schematische Übersicht der Motivvarianten und ihrer Funktionen, so liefert er sicherlich eine gründlich und genau recherchierte, umfassende und systematische Diskussionsgrundlage. Zweifellos gelingt ihm eine problemorientierte und bemüht sachliche Darstellung der “Adaptationsfähigkeit und Langlebigkeit des Motivs”. Doch bei allem selbstkritischem Problembewußtsein mangelt es seiner Doppelgängerdefinition an einer klaren Begrifflichkeit, was sich leicht daran ablesen lässt, daß auch all jene Varianten und Ausformungen berücksichtigt werden, die “in den erweiterten Bereich der Doppelgängeranalyse” fallen. Mit solch einer weitgefassten Definition, die auch Hermaphroditen, Vampire, Werwölfe, Golems, Statuen etc. als doppelgängerische Spaltungsphantasien deutet, wird das ohnehin schon vielfältige und komplexe Motiv derart überstrapaziert, daß der Leser auf der Suche “nach dem gemeinsamen Subtext hinter den Doppelgängergeschichten” den roten Faden verliert.I documenti in IRIS sono protetti da copyright e tutti i diritti sono riservati, salvo diversa indicazione.