Der gerundio als Verbmodus und Signal der syntaktischen Subordinierung von Sätzen findet auch in der Formulierung von Normen Anwendung: er ist häufig in Gesetzen und Verordnungen feststellbar und ermöglicht oft stilistische Eleganz und semantische Flexibilität. Gleichzeitig kann er ein Problemfeld für die Deutung durch Juristen, Linguisten und Übersetzer darstellen. Linguistisch gesehen geht es beim gerundio insbesondere um Vagheit in Verknüpfungen auf syntaktischer und semantisch/textueller Ebene. Im Rahmen der Bestrebungen, Gesetze und Verordnungen verständlicher zu gestalten, wird der gerundio gerade wegen seiner semantischen Unterdeterminiertheit und wegen der halbnominellen Morphologie in neueren Redaktionsnormen eher abgelehnt. Die Schwierigkeiten liegen also sowohl in der Syntax als auch in der Semantik der gerundio-Nebensätze. Auf der syntaktischen Ebene wird zwar gelegentlich als positive Wirkung des gerundio die Verkürzung des gesamten Satzgefüges erwähnt, die als solche zur Übersichtlichkeit der Paragraphen beitragen dürfte. Als gravierende negative Wirkung wird aber die Unbestimmtheit des zu verstehenden Subjekts hervorgehoben, die den Leser gelegentlich dazu zwingt, Ambiguitäten in der Referenz interpretatorisch zu überwinden. Auf rein semantischer Ebene beklagt man schließlich die Unbestimmtheit in der Interpretation der Satzverknüpfung und das Fehlen aller Bezüge, die in der Verbkonjugation verankert sind. Das daraus entstehende Problem der gelegentlichen Disambiguierung von gerundio-Strukturen ist nicht nur für die juristische und pragmatische Auslegung der Norm relevant, sondern auch für die Übersetzung ins Deutsche. Aufgrund der bekannten Unterschiede zwischen dem deutschen und dem italienischen Inventar der Verbmodi und angesichts der Asymmetrien in den Inventaren der Satzkonnektoren können für eine italienische gerundio-Formulierung in der Regel mehrere deutsche syntaktische Strukturen als translatorische Entsprechung infrage kommen, die möglicherweise eine genauere Darstellung der syntaktischen und semantischen Verhältnisse implizieren. Ob diese Annahme immer zutrifft, wird in diesem Beitrag anhand der Analyse des Codice Civile und seiner deutschen Fassung für die Südtiroler Bevölkerung überprüft. Diese Studie hat vor allem Pilotcharakter, um ein erstes Bild der übersetzerischen Entscheidungen zu erhalten, die fachlich und sprachlich hochqualifizierte Juristen im Umgang mit gerundio-Formulierungen getroffen haben. Diese Analyse soll vor allem folgende Fragen beantworten, die die syntaktische und semantische Unbestimmtheit dieser Strukturen betreffen. • Wie sind die gerundio-Strukturen in CC insgesamt verteilt? • Welche syntaktischen Muster (gerundio alleine oder in Verbindung mit pur, salvo,) lassen sich im CC erkennen? • Welche Probleme treten bei der Identifizierung der Subjektreferenz in gerundio-Sätzen und in den entsprechenden Übersetzungen auf? • Welche syntaktischen Entsprechungen (Subordinierung, Koordinierung, Nominalisierung, Attribuierung, Adverbialien) sind jeweils in der deutschen Fassung festzustellen? • Welche semantischen Entsprechungen ergeben sich in der deutschen Fassung? • Sind polyseme Konnektoren bzw. Präpositionalsyntagmen in den deutschsprachigen Formulierungen feststellbar und ggf. mit welcher Verteilung? • Werden die übersetzerischen Entscheidungen kohärent getroffen?

M. Soffritti (2010). Der gerundio im italienischen Codice Civile und seine Entsprechungen in der Südtiroler Übersetzung. MÜNCHEN : Iudicium.

Der gerundio im italienischen Codice Civile und seine Entsprechungen in der Südtiroler Übersetzung

SOFFRITTI, MARCELLO
2010

Abstract

Der gerundio als Verbmodus und Signal der syntaktischen Subordinierung von Sätzen findet auch in der Formulierung von Normen Anwendung: er ist häufig in Gesetzen und Verordnungen feststellbar und ermöglicht oft stilistische Eleganz und semantische Flexibilität. Gleichzeitig kann er ein Problemfeld für die Deutung durch Juristen, Linguisten und Übersetzer darstellen. Linguistisch gesehen geht es beim gerundio insbesondere um Vagheit in Verknüpfungen auf syntaktischer und semantisch/textueller Ebene. Im Rahmen der Bestrebungen, Gesetze und Verordnungen verständlicher zu gestalten, wird der gerundio gerade wegen seiner semantischen Unterdeterminiertheit und wegen der halbnominellen Morphologie in neueren Redaktionsnormen eher abgelehnt. Die Schwierigkeiten liegen also sowohl in der Syntax als auch in der Semantik der gerundio-Nebensätze. Auf der syntaktischen Ebene wird zwar gelegentlich als positive Wirkung des gerundio die Verkürzung des gesamten Satzgefüges erwähnt, die als solche zur Übersichtlichkeit der Paragraphen beitragen dürfte. Als gravierende negative Wirkung wird aber die Unbestimmtheit des zu verstehenden Subjekts hervorgehoben, die den Leser gelegentlich dazu zwingt, Ambiguitäten in der Referenz interpretatorisch zu überwinden. Auf rein semantischer Ebene beklagt man schließlich die Unbestimmtheit in der Interpretation der Satzverknüpfung und das Fehlen aller Bezüge, die in der Verbkonjugation verankert sind. Das daraus entstehende Problem der gelegentlichen Disambiguierung von gerundio-Strukturen ist nicht nur für die juristische und pragmatische Auslegung der Norm relevant, sondern auch für die Übersetzung ins Deutsche. Aufgrund der bekannten Unterschiede zwischen dem deutschen und dem italienischen Inventar der Verbmodi und angesichts der Asymmetrien in den Inventaren der Satzkonnektoren können für eine italienische gerundio-Formulierung in der Regel mehrere deutsche syntaktische Strukturen als translatorische Entsprechung infrage kommen, die möglicherweise eine genauere Darstellung der syntaktischen und semantischen Verhältnisse implizieren. Ob diese Annahme immer zutrifft, wird in diesem Beitrag anhand der Analyse des Codice Civile und seiner deutschen Fassung für die Südtiroler Bevölkerung überprüft. Diese Studie hat vor allem Pilotcharakter, um ein erstes Bild der übersetzerischen Entscheidungen zu erhalten, die fachlich und sprachlich hochqualifizierte Juristen im Umgang mit gerundio-Formulierungen getroffen haben. Diese Analyse soll vor allem folgende Fragen beantworten, die die syntaktische und semantische Unbestimmtheit dieser Strukturen betreffen. • Wie sind die gerundio-Strukturen in CC insgesamt verteilt? • Welche syntaktischen Muster (gerundio alleine oder in Verbindung mit pur, salvo,) lassen sich im CC erkennen? • Welche Probleme treten bei der Identifizierung der Subjektreferenz in gerundio-Sätzen und in den entsprechenden Übersetzungen auf? • Welche syntaktischen Entsprechungen (Subordinierung, Koordinierung, Nominalisierung, Attribuierung, Adverbialien) sind jeweils in der deutschen Fassung festzustellen? • Welche semantischen Entsprechungen ergeben sich in der deutschen Fassung? • Sind polyseme Konnektoren bzw. Präpositionalsyntagmen in den deutschsprachigen Formulierungen feststellbar und ggf. mit welcher Verteilung? • Werden die übersetzerischen Entscheidungen kohärent getroffen?
2010
Text und Stil im Kulturvergleich
248
280
M. Soffritti (2010). Der gerundio im italienischen Codice Civile und seine Entsprechungen in der Südtiroler Übersetzung. MÜNCHEN : Iudicium.
M. Soffritti
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