Impostoren. Zu einem intertextuellen Dialog der Autoren Plautus und Philip K. Dick

MORALDO, SANDRO
2016

Abstract

Literarische Texte stehen seit jeher in einem ganz besonderen Verhältnis zueinander. Wie eine solche Beziehung in der Praxis aussieht, dafür hat Franz Loquai mit seiner Monographie zur Shakespeare-Rezeption in Deutschland ein anschauliches Beispiel geliefert. Unter Rückgriff auf Michail Bachtins Begriff der Dialogizität und Julia Kristevas Begriff der Intertextualität hat er exemplarisch dargelegt, wie der Hamlet-Stoff „bei den deutschen Schriftstellern im 20. Jahrhundert zu einer paradigmatischen Figur innerhalb der literarischen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte von den beiden Weltkriegen und dem Dritten Reich bis hin zur Nachkriegszeit und ihren Versuchen des Neuanfangs und der trauernden Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus“ werden konnte. In dieser literarischen Reihe kommt den einzelnen Texten Verweisungscharakter insofern zu, als sie auf einen Prätext Bezug nehmen, im konkreten Fall Shakespeares Drama The Tragedy of Hamlet, Prince of Denmark (ca. 1599-1602), das als kreative Projektionsfläche zum Seismografen für sozial-geschichtliche Befindlichkeiten avanciert. Die epochenbezogene Sichtung der wechselnden Inanspruchnahme von Hamlets Befindlichkeit und seiner variantenreich schattierten Bedeutung wird in detaillierten Einzelanalysen vorgenommen. Hamlets melancholische Handlungsohnmacht und intellektuelle Wahrheitssuche, so Loquais Grundthese, diene den Autoren als modellbildendes Paradigma für eine fiktionale Auseinandersetzung mit der politischen Erfahrung und der geschichtlichen Verantwortung Deutschlands im 20. Jahrhundert. Die verschiedenen Beiträge markieren sodann nicht nur programmatische und differenzierte Erkenntnisse, sondern durchaus auch kontroverse Positionen. Was sie aber alle eint, ist die Tatsache, dass sie am 'unendlichen' Hamlet-Text mitschreiben. Die folgenden Ausführungen schließen an Loquais methodisches Vorgehen an. Fokussiert wird aber nicht auf den Stoff des dänischen Prinzen, sondern auf ein anderes „außerhalb der Dichtung vorgeprägtes Substrat“, einer weiteren „Geschichte mit Eigenexistenz“. Gemeint ist die von der griechischen Mythologie überlieferte Heroensage des Amphitryon, „eine der reichsten Rezeptionsgeschichten eines mythischen Grundmusters“. In der Bearbeitung von Plautus Amphitruo (ca. 190-185 v. Chr.), als „der einzigen erhaltenen Mythenkomödie“, bildet sie die Grundlage für die hier anstehende Untersuchung einer zwischentextlichen Beziehung. Der Verdienst des Plautus besteht allerdings nicht nur darin, die Geschichte der Verkleidung und Maskierung der Götter Jupiter und Merkur (in der griechischen Tradition Zeus und Hermes) und der damit in Gang gesetzten „Tragik der verlierbaren Identität“ der Nachwelt schriftlich überliefert, sondern auch darin, in der thematischen Entfaltung der existentiellen Bedrohung der in ihrer Identität usurpierten Personen bei aller Tragik auch eine heitere Gelassenheit abgewonnen zu haben. Wurden nämlich in der Überlieferung die tragischen und komischen Motive voneinander getrennt behandelt, so führt sie Plautus in seinem Stück zusammen „und stellt dies mit dem Anspruch des Neurertums in den Prologversen Merkurs durch den Neologismus ,tragicomoediaʽ auch heraus“. Als literarische Herausforderung wandelt der Mythos des Amphitryon durch die verschiedensten Epochen und findet seine exemplarische Textgestalt im Drama. Der Versuch, die vielfältigen Implikationen dieses bildermächtigen wie geschichtenträchtigen mythischen Ereignisses mit seinem dramatischen Grundgerüst (Identität als Selbsterfahrung, Täuschung, Ehebruch) und Figurenarsenal (Jupiter, Merkur, Amphitryon, Sosias, Alkmene) in immer wieder neue Begriffskoordinaten einzufangen, hat dann wiederum mit zahlreichen Adaptionen eine literarische Reihe sui generis begründet. So hat die plautinische Tragikomödie wirkungsgeschichtlich gesehen einen nachhaltigen Einfluss u.a. auf Autoren wie Molière (Amphitryon, 1668), John Dryden (Amphitryon, or The Two Sosies, 1690) Heinrich von Kleist (Amphitryon. Ein Lustspiel nach Molière, 1807), Jean Giraudoux (Amphitryon 38, 1929), Georg Kaiser Zweimal Amphitryon, 1943/44) und Peter Hacks (Amphitryon, 1968) ausgeübt.
2016
Die Elixiere der Literatur
105
117
Sandro Moraldo
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/11585/586877
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